Innovation planen, Ideen bewusst finden und gezielt entwickeln. Wie geht das? Vor gut zwei Jahren hat man bei Melitta in Minden – ja das Familienunternehmen und Erfinder der Filtertüte sitzt in Ostwestfalen-Lippe – ein Problem festgestellt: Innovationen wurden nur inkrementell vorangetrieben. Sprich: Bereits hervorragende Produkte wurden immer besser gemacht. Eine Disziplin, die zu den großen Qualitäten der deutschen Wirtschafts-Landschaft gehört.
Aber:
Große neue Ideen entstehen nicht, wenn man sich voll und ganz auf das Tagesgeschäft konzentriert. Innovation macht man nicht mal eben Mittwoch nachmittags von 16 bis 18 Uhr. Also wurde mit dem Melitta Innovations-Team zentral eine Lösung geschaffen, das über den Tellerrand hinaus und losgelöst von der täglichen Produktentwicklung arbeiten kann.
Neulich war Christian Busse aus eben diesem Melitta Innovations-Team bei comspace zu Besuch und ich konnte die Gelegenheit nutzen, um ihm einige Fragen zu stellen.
Melitta und die 3 Wellen des Kaffee
1908 erfand Melitta Bentz die Filtertüte und gründete ihr Unternehmen. Damit war sie eine wesentliche Treiberin des First Wave Coffee: Kaffee, der einfach zuzubereiten und der breiten Bevölkerung zugänglich gemacht wurde.
Beispielsweise führte Melitta auch den Vakuumverpackten Kaffee in Europa ein und als Hersteller von Haushaltswaren später die Alufolie!
Die erste Welle ging in den 1980er Jahren in die Second Wave Coffee über, als die Kunden vor allem auf Spezialitäten, Mischgetränke, Espresso, Latte und das gesellschaftliche Ereignis des Kaffeetrinkens ansprangen. Insbesondere Coffee-to-go, das Central Perk aus der TV-Serie Friends und Starbucks werden mit der Second Wave in Verbindung gebracht. Melitta ist in dieser Kaffee-Epoche sehr stark gewachsen und hat sich auch im professionellen Barrista-Sektor wie beim ambitionierten Heimanwender als hervorragender Hersteller von Kaffee-Maschinen positioniert. Aber die großen Innovationen blieben aus.
Seit den 2000ern sprechen wir von Third Wave Coffee: Kaffee wird als Genussmittel wie bsw. guter Wein betrachtet, dessen Herkunft, Anbau, Sortenreinheit und meisterhafte Zubereitung ein besonderes Geschmackserlebnis vermittelt.
Wie arbeitet Melitta nun an innovativen Produkten?
2016 wurde das 4-köpfige Innovations-Team, dem Christian Busse angehört, gegründet. Er selbst hat ganz klassisch Industrie-Design studiert und direkt nach dem Studium in einer Agentur gearbeitet, bei der er damals schon für Kunden aus der Kaffee-Branche gearbeitet hat. Überwiegend hat er zu dieser Zeit aber am Design von Mobiltelefonen mitgewirkt. Nach der Markteinführung des iPhones wechselte er zu einem der größten Mobilfunkanbieter Deutschlands. Mit dem iPhone war das Thema Produktdesign für Mobiltelefone gegessen und Digital- und Interface-Design nahmen immer mehr an Bedeutung zu. 2016 wechselte Christian dann wieder zurück in die Heimat – die Stellenbeschreibung des Innovations-Teams bei Melitta passte einfach genau.
Als erstes wurde bei Melitta der Innovationsprozess definiert und das Team entwickelte ein Handbuch von Methoden. Dieses liegt auch mehrfach als erweiterbares Ringbuch im Unternehmen, damit Kollegen/innen inspiriert werden, eigene Innovations-Ideen zu entwickeln, voran zu treiben und in Projekten umzusetzen. Manchmal unterstützt das Innovations-Team mit Trainings, Coaching und Tipps, manchmal setzt das Team als interner Dienstleister auch Projekte so weit um, bis sie in die Fachabteilungen zurückgegeben werden.
Voraussetzung für den Einsatz einer Innovations Methode:
Mindestens ein Mitglied des Teams musste schon Erfahrung mit der Methode gesammelt haben. Sei es nun Design Thinking, Value Proposition Design, Customer Journey Mapping, Business Model Innovation, Lean Startup, Ideation oder Rapid Prototyping.
Zwei Drittel der Arbeitszeit arbeitet das Team an innovativen Wertangeboten und ⅓ werden genutzt, um die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern. Die Grundmentalität lautet. wie auch in Fachabteilungen des ganzen Unternehmens:
Geht so weit ihr könnt im Team alleine. Fragt um Hilfe, wenn ihr nicht weiter kommt.
Neue Projekte und Produkte sind auch immer ein Risiko. Mit schnellen Iterationen, viel Testen und Ruhe, Zeit und Freiheit lässt sich die Chance zu einem Erfolg deutlich steigern. Im Familienunternehmen Melitta ist man dabei einfach schneller als im großen Konzern, kann aber auch auf mehr Ressourcen und Fach-Know-how zurückgreifen als im Startup. Seien es Logistik, Kontakte in den Einzelhandel, PR und Marketing oder die Rechtsabteilung. Die Frage, die man sich stellt ist eher:
“Was können wir machen? Statt: Wogegen müssen wir uns absichern?”
ffeel als Beispiel für praktisches Entwickeln von Innovationen
“Wie sieht denn dieser Innovations-Prozess nun aus?” habe ich mich gefragt und Christian hat ihn mir direkt am neuen Produkt ffeel erklärt, dass ich zudem auch gleich in allen drei Geschmacksrichtungen probieren konnte und das sich mit der Frage beschäftigt: Welche Chancenfelder gibt es noch im Kaffeebereich und welche Konsumenten-Trends haben Einfluss darauf?:
- Eine von vielen Ideen: Wie bekommen wir ein Third Wave Coffee Produkt mit Cold Brew, das für viele Menschen interessant ist?
- Die Idee weiter gedacht und mit weiterem Trend verknüpft: Mit Superfruits.
- Dann recherchiert: Wie geht das? Was gibt es bereits? Was passt gut zusammen? Ab in den Biomarkt, Zutaten gekauft und eigene Rezepturen entwickelt
- Mit Lebensmittel-Technologen die Rezepturen verfeinert
- Über Social Media die Rezeption im Markt getestet: Instagram-Influencer haben erste Prototypen gepostet und Feedback eingeholt
- Eigene Social Media Kanäle aufbauen, Inhalte und Produkt-Features anteasern und über Analytics testen, wie Kunden diese annehmen
- Erster echter Test auf Lifestyle-Event Le Bloc mit über 1000 Kontakten
- Kunden mussten sich Gutschein holen und oder konnten direkt bezahlen. Commitment war wichtig, um das Produkt nicht zu entwerten
- Als Entwickler-Team vor Ort ansprechbar gewesen zu sein, wurde sehr gut angenommen
- Jetzt geht es u.a. in den Gastronomie-Test in Bielefeld: Thumel, Founders Foundation und Pioneers.Club Und auch in Minden, Köln und München.
Ziel im Innovations-Team ist immer: Die einzelnen Schritte selber machen zu können. Bei Zeitdruck nach extern vergeben geht immer. Aber das Team will verstehen, was gerade an den einzelnen Punkten passiert.
Wie schmeckt ffeel denn nun?
Der Name ist ein Wortspiel aus coffee Lemonade. Dazu wurde eine Kaffeesorten aus 100% Arabica-Bohne genommen, die sich besonders gut für das Cold Brew Verfahren eignet und daraus kalter Kaffee mit besonders feinem Aroma hergestellt.
Nun gehöre ich glaube ich ziemlich genau zu den Zielkunden: Ich trinke gerne Kaffee. Aber keine gezuckerte Limonade. Wenn ein Getränk noch ein bisschen gesund ist: Umso besser.
Da kommen bei ffeel die verwendeten Superfruits ins Spiel, die als naturtrübe Direktsäfte in die Rezepturen gemischt werden und so entstanden die drei Sorten:
- Yuzu – Grapefruit riecht am stärksten nach Kaffee. schmeckt zitronig erfrischend und erfreulich wenig bitter.
- Calamanzi Tangerine – ist sehr fruchtig und mild. Hier schmeckt man den Kaffee am wenigsten heraus
- Coconut Mango – schmeckt am deutlichsten nach Kaffee und ist sehr rund im Geschmack.
Die Farbe des Getränks in der transparenten Flasche erinnert zunächst mal an Eis-Tee. Wobei die Hauptfarbgebung durch den naturtrüben Fruchtsaft entsteht und weniger durch den Kaffee.
Letztendlich muss man das Getränk einfach mal ausprobieren und erleben. Mir schmeckten alle drei Sorten sehr gut. Aktuell geht das im Thumel in Bielefeld bsw.
Übrigens:
Am 1.10 ist der Tag des Kaffees! Und möglicherweise kommt das Kommunikationskonzept dafür sogar von der FHM Bielefeld.
Innovations-Methoden zum selber ausprobieren
Das hauseigene Innovations-Handbuch konnte Christian uns natürlich nicht zur Verfügung stellen. Allerdings gibt es auch hervorragende Online-Angebote:
- Circular Design Guide bietet eine umfangreiche Methodensammlung
- Board of Innovation hat 100 Quellen zum Thema zusammen gestellt
- Strategyzer bietet Online-Kurse und Materialien
Wie entwickeln Sie Innovationen in Ihrem Unternehmen?