Wie kann Deutschland in der Digitalisierung gegen USA und China bestehen?

Eine der Fragen, die sich die 1200 Teilnehmer während der Bielefelder Startup- und Digitalisierungs-Konferenz Hinterland of Things immer wieder stellten war:

Wie können sich Deutschland und Europa gegenüber China und den USA behaupten?

Wo liegt denn überhaupt das Problem?

Das ist relativ leicht beantwortet:

  • Geld
  • Talent
  • Know-how

Talent und Know-how haben wir in Deutschland wie auch in Europa. Wir produzieren auch immer noch massiv Innovation.

Aber: Es gelingt kaum, die wirklich erfolgreichen Geschäftsmodelle und den Einfluss auf sie, in Europa zu halten.

Denn:
Sobald die Skalierung eines Startups in wirklich große Dimensionen vorstößt und es um Investitionen von mehreren hundert Millionen Dollar und mehr geht, haben wir ein Problem.

US-Investoren aus Tech-Unternehmen, Rentenfonds oder chinesische Mega-Corporates wie Softbank, schreiben in kürzester Zeit dreistellige Schecks vor den 6 Nullen, bevor europäische Organisationen durch ihre Instanzen gegangen sind oder deutsche Unternehmer die Familienschatulle gefunden haben.

Die Bestandteile eines Baukastens

Frank Thelen beschrieb die Ausgangssituation wie auch die zukünftige Entwicklung als technologischen Baukasten:

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Aktuell sind Technologien da, die sich gegenseitig ergänzen, antreiben und weiterentwickeln wie:

3D-Druck, Robotik, Blockchain, 5G-Netz und damit einhergehend AR/VR, Computersteuerung per Stimme und immer schneller werden Transportsysteme durch Elektroscooter, Elektroautos und dazugehörige Technologien wie bessere Stromspeicher, Smart-Grid uvm. Aus diesen Technologien entwickeln sich ständig neue Geschäftsmodelle, Produkte und Problemlösungen für die Menschen.

Im nächsten Schritt wird sich der Fortschritt in 5-15 Jahren vermutlich potenzieren mit Hilfe von Quantencomputern, die eine völlig neue Art des Rechnens ermöglichen werden. Genetische Optimierungen, Nukleare Fusion und nicht zuletzt Singularität in der menschliches Bewusstsein mit künstlicher Intelligenz verbunden wird. Halten kann man davon was man will, nur verhindern wird diese Entwicklungen niemand.

Die Frage dabei ist nur: Werden wir in Europa bei der Entwicklung vorne mitspielen oder links und rechts von China und den USA überholt werden?

Als Analogie lässt sich wunderbar das Thema Datenschutz anführen. Mit viel Glück kann das Thema kurzfristig zu einem positiven Wirtschaftsfaktor werden. Mit weniger Glück beschreibt der ehemalige StudiVZ CEO Michael Brehm das so: „Es ist, als würden wir überall ein Tempolimit von 10km/h einführen, an jede Straßenecke einen Polizisten stellen und dann aber erwarten, Formel1-Weltmeister zu werden“.

Photo by chuttersnap on Unsplash

Oder wie Staatsministerin für Digitales, Doro Bär auf der Hinterland sagte:

„Auch wenn sich schlechte Politik im Digitalen langfristig nicht durchsetzen wird, kann sie kurzfristig dennoch ein massiver Hemmschuh für wichtige Innovationen und notwendige Entwicklungen sein.“

Was wir in .de gut können:

Komplexität

Komplexe Zusammenhänge erkennen und für andere Menschen vereinfachen können wir gut. Insbesondere im B2B-Umfeld. Wo US-Geschäftsmodelle oft trivial sind, gelingt es Gründern in Deutschland bsw. immer häufiger sehr erfolgreiche E-Commerce-Plattformen in komplexen Branchen aufzubauen.

Photo by John Barkiple on Unsplash

Genauigkeit, Perfektion und Effizienz

All diese Fähigkeiten werden zwar nicht unwichtig, aber durch fortschreitendes Machine Learning und den Einsatz von Robotern können sie immer einfacher durch Maschinen ersetzt werden.

Oder um es mit Frank Thelens Worten zu sagen:

„Das Spaltmaß wird uns nicht retten“

Aber wir können lernen, unsere Erfahrung mit Genauigkeit, Perfektion und Effizienz in Maschinen zu übertragen.

Qualität, Made in Germany

Made in Germany ist immer noch ein starker Brand. Deutsche Produkte sind beliebt und genießen (noch) ein großes Vertrauen in der Welt.

Logistik

Hier waren sich verschiedene Panels einig, dass insbesondere die Logistikbranche im digitalen Umfeld eine der ganz großen Stärken in Deutschland ist.

Dezentralisierung

Eine Stärke des Silicon Valley ist die hohe Konzentration von Tech-Marktführern, Startups und Talenten im Umkreis von einer Autostunde. Die Stärke in Deutschland ist eher die dezentrale Verteilung von Hidden Champions in kleinere Hotspots, die durch Organisationen und einen starken Mittelstand zusammen gehalten und vernetzt werden.

Was wir besser machen können

Neben den lokalisierten Stärken wurden auf der Hinterland auch einige Ansatzpunkte genannt, mit denen wir sowohl in Deutschland als auch in Europa noch deutlich mehr Momentum aufbauen können:

10-fach denken

Generationen deutscher Ingenieure haben es über Jahrzehnte perfektioniert, Dinge 2-3% besser, billiger oder effizienter zu machen.

Doch:

Was, wenn dieses perfektionierte Produkt auf einen Schlag nicht mehr benötigt wird, weil ein Startup von woher auch immer eine Lösung geschaffen hat, die 10-fach besser, billiger oder effizienter ist? Oder sogar kostenlos?

Wenn „Made in Germany“, Genauigkeit und Qualitätsbewusstsein mit 10 Mal besseren Problemlösungen kombiniert werden, können wir jahrzehntelange Stärken auch in digitale Business Modelle übertragen.

Innovation

In einer Diskussionsrunde in Stanford wurde der taiwanesische AI-Experte Kai-Fu Lee gefragt:

„Wer wird weltweit die 3 ersten Plätze in Sachen künstlicher Intelligenz belegen?“

Seine Antwort: Es sind nur 2 Plätze zu vergeben. China und USA. Und China hat seiner Meinung längst die Führung übernommen.

Da hilft es auch nichts, wenn Doro Bär von der KI-Konferenz im Kanzleramt berichtet, dass unsere KI-Grundlagenforschung weltspitze ist. Solange Studenten, Doktoranden und Professoren scheinbar kein Interesse daran haben, mit ihrer Forschung Geld zu verdienen.

Investition

In mehreren Panels wurde die Haltung typischer Familienunternehmen mehrmals so oder so ähnlich formuliert:

„Wir haben zwar Milliarden, die wir investieren könnten, aber unsere Pflicht ist es, dieses Vermögen für die nächsten Generationen zu erhalten“.

Alternativ wurde vorgeschlagen: „Es sollte unsere Pflicht sein, das Geld smart und strategisch zu investieren und nicht in Stiftungen zu stecken, deren Regeln viel zu eng sind.“

Udo Schloemer von der Factory Berlin brachte es so auf den Punkt: „Ob wir mit 1 Milliarde oder 1 Million sterben, ist doch egal. Dann investieren wir 999 Millionen doch lieber in zukunftsträchtige Unternehmen und Technologien.“

Er erkannte das Problem ganz ähnlich: Wir sind in Deutschland super darin, in der Frühphase zu finanzieren. Wenn diese risikoreiche Frühphase dann erfolgreich durch ist, dann übernehmen USA und China mit großen Investitionen die nächsten Runden. „Stattdessen investieren Banken in Deutschland heute in Shopping-TV-Sender, weil 2016 die Zahlen super gewesen sind.“

Ausbildung

„WLAN ist das neue Asbest!“ hört Doro Bär immer wieder, wenn sie über die Digitalisierung in Schulen spricht. Meistens vor allem von Eltern. Auch hier ist ein Umdenken unglaublich wichtig. Ganz besonders in den Schulen. Doch dafür sind zwei Dinge wichtig:

  • Eltern mit an Bord!
  • Lehrer mit an Bord!

Ob nun Programmieren ein Fach in der Grundschule wird, ist dabei nicht die entscheidende Frage. Vielmehr sind es zwei Dinge, die Kinder für zukünftige Aufgaben benötigen:

  • Kinder sollen Gestalter statt Konsumenten werden, indem sie interessante Probleme erkennen und lösen können
  • Sie brauchen ein Grundwissen über Algorithmen und Daten, um die digitale Welt verstehen zu können und sich nicht von ihr beherrschen zu lassen.

Sebastian Borek, CEO der Founders Foundation und Ausrichter der Hinterland of Things, beschrieb einen Lösungsansatz so:

In diesem geopolitischen Spiel müssen wir Ressourcen zusammenbringen und das Kapital der smartesten Leute in Deutschland mobilisieren.

Dann werden wir auf die Frage: „Was, wenn das Tech-Konglomerat Softbank aus Japan mit dem dicken Scheckbuch kommt und mit 100 Millionen Talent und Innovation wegkauft?“ hoffentlich bald eine konstruktivere Antwort finden, als die eines VC in einem der Hinterland-Panels:

„Ja, das ist dann blöd.“

Hoffnung macht in diesem Zusammenhang immerhin diese interessante Einschätzung, dass besonders ein Investment von Softbank nicht immer einen positiven Effekt haben muss.

Hoffen wir das Beste.

Ein Hoffnungsträger in der Hinterhand auf der Hinterland: Kultur

Ein USP, mit dem wir uns von anderen Industrieregionen absetzen, klang zwischen den Zeilen immer wieder durch – sowohl auf europäischer, deutscher und ostwestfälischer Ebene und das war: Kultur.

Unternehmenskultur, die Diversität europäischer Kultur, Lebensart, Kultur des Feierns und des Zusammenlebens.

Unterm Strich könnte man sagen: Europa kann sich dadurch absetzen, dass neben der Arbeit auch noch ein Leben statt findet. Und das setzt Energie, Kreativität und Motivation frei.

Neben allen Innovationen, KPI und Business Models sollten wir uns also auch immer wieder die Frage stellen:

Was macht unsere Kultur des Lebens und Arbeitens aus und wie können wir sie zu unserem Vorteil nutzen? Und so mehr Talente anziehen, neue Geschäftsideen erfinden, Produkte schaffen, die diese Kultur verstärken und so immer weniger arbeiten müssen, um zu leben.

Was denkt Ihr, wie sich der deutsche Mittelstand noch stärker für das Investment in disruptive, digitale Geschäftsmodelle mobilisieren lässt?

Hinterland Recaps und Presseecho

Artikelbild: Hinterland of Things

Eine Antwort auf „Wie kann Deutschland in der Digitalisierung gegen USA und China bestehen?“

  1. Tolle Einblicke in die Digitalisierungsfortschritte Deutschlands! Die Herausforderungen und Chancen für KMU in diesem Bereich sind wirklich bemerkenswert.
    Aus meiner Sicht in der Montage und Konfektionierung, wo Digitalisierung ebenfalls eine große Rolle spielt, frage ich mich, ob es spezielle digitale Werkzeuge gibt, die insbesondere für deutsche KMU von Nutzen sein könnten?

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