comspace re:publica 2019

tl;dr – too long, didn’t read. Dieses manchmal ernsthaft, manchmal ironische Internet-Kürzel war Logo und Motto gleichzeitig der re:publica 2019.

tl;dr bedeutet, dass zusammengefasst wird. Eine noch stärkere Verkürzung des Executive Summary. Ein Komprimieren und Vereinfachen, manchmal bis hin zur Unverständlichkeit. 

tl;dr = Komplexität verringern. Eine Aufgabe die uns in unserer Arbeit fast täglich begleitet: Zum Beispiel darin, für unsere Kunden die Komplexität im Aufbauen, Betreiben und Weiterentwickeln ihrer Webseiten auf ein Minimum zu reduzieren. 

Dabei bedeutet komplex soviel wie allumfassend, zusammen gehörend, Faktoren, die wechselwirkend miteinander in Beziehung stehen. Kompliziert ist dahingegen „nur“ verworren, unklar und mit mehreren Einflussfaktoren, die aber eigentlich relativ einfach wieder entworren werden können. 

Die re:publica stellte die Frage: Wie können wir wieder mehr in die Tiefe gehen? Debattieren und diskutieren? Das Digitale annehmen, aber nicht um seiner selbst Willen reduzieren und die Auswirkungen auf alle anderen Lebensbereiche beurteilen? 

Klar: Das erzeugt Mehraufwand und kann anstrengende aber auch erfüllende Arbeit sein. Vor allem sind komplexe Aufgaben solche, die Künstliche Intelligenz uns nicht so einfach abnehmen kann. Komplizierte Vorgänge dahingegen schon, da sie einfacher in ihre Einzelteile zerlegt werden können, ohne Wechselwirkungen zu übersehen. 

5 Erkenntnisse von der tl;dr re:publica: So kurz wie möglich, so ausführlich wie nötig

5 Menschen von comspace (Alex, Andi, Hanna, Sarah und Tanja) waren auf der #rp19 und wir geben hier unsere Eindrücke und was wir mitgenommen haben wieder.

Erkenntnis 1: Die letzten 10 Minuten oder – suche Themen, die Du nicht kennst.

Eine Konferenz mit fünfstelliger Besucherzahl muss es irgendwie allen Recht machen. Das kann ab und an zu einer Abflachung der Vorträge und Sessions führen, damit sich möglichst viele Anwesenden in einem Vortrag abgeholt fühlen. 

Dem lässt sich aktiv mit 2 Strategien begegnen:

  1. Konsequent Themen auswählen, die vollständig neu für einen selbst sind und so möglichst viele Lerneffekte, neue Perspektiven, alternative Herangehensweisen oder zumindest die Erkenntnis mitnehmen: „Ach guck: So geht man also in anderen Branchen mit dien Problemstellungen um.“
  2. Steckt man selber tief in der Materie, geht man erst in das letzte Drittel eines Vortrags, wenn es um das Ergebnis, die Essenz und die Fragerunde geht. Die Zeit vorher lässt sich mit den Inhalten aus Punkt 1. oder netzwerken sinnvoll füllen.

Erkenntnis 2: Persönliche Erfahrungsberichte > Beratersprech

Visionär, theoretische Überlegungen und Herangehensweisen machen manchmal Sinn. Keine Frage. Auf der re:publica haben wir wieder einmal festgestellt, was für uns am wertvollsten ist:

Ehrliche Erfahrungsberichte, persönliche Erfolgs- oder auch Scheiter-Geschichten und der direkte Austausch mit eigenen Erfahrungen. 

Ein Beispiel war hier der ungeschönte Einblick in die WDR-Redaktion vom quarks.de Instagram-Channel. Inklusive aller Hürden, Gegenwind aus dem eigenen Hause und Beschwerden vom Publikum und welche Lehren daraus gezogen wurden, um das Produkt zu einem Erfolg zu machen. 

Erkenntnis: Mit entsprechender Arbeit lassen sich komplexe Wissenschaftsthemen tatsächlich in 59 Sekunden erklären.

Erkenntnis 3: Suche nach dem Wesentlichen, um von dort aus das Relevante zu entdecken

tl;dr sollte man einerseits sehr kritisch betrachten und immer wieder prüfen, nicht zu oberflächlich an Themen heranzugehen. Macht man sich aber bewusst, dass tl;dr Zusammenfassungen sind und einen schnelleren, ersten Zugang zu Themen ermöglichen, kann eine Reduzierung aufs Wesentliche sehr sinnvoll sein. So lassen sich im zweiten Schritt Themen vertiefen und neu miteinander verbinden, die sonst nie in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht worden wären. 

Erkenntnis 4: Nachhaltigkeit und New Work sollten zusammen diskutiert und vor allem zusammen umgesetzt werden

So ein Beispiel des Zusammenhangs ergab sich zwischen New Work und Nachhaltigkeit.

Durch die eigenen, kritischen Gedanken zur Nachhaltigkeit einer Konferenz mit über 8500 Besuchern am Tag, kamen wir bei der Frage an: Wie können wir selber nachhaltig(er) arbeiten – ohne jede einzelne Methode oder Prozess in Frage stellen zu müssen? Und: Wie kann New Work dabei helfen?

  • Fahrrad statt Auto für den Arbeitsweg
  • Mit Home Office, digitalem Austausch und Videokonferenz die notwendigen Fahrten reduzieren
  • Geschäftsreisen eher mit der Bahn statt mit dem Flugzeug oder Auto durchführen
  • Ernährung und Konsumgüter bei der Arbeit nachhaltig einkaufen, sinnvoll nutzen und dabei möglichst wenig Müll erzeugen
  • CO2 Fußabdrücke im Fokus behalten und bsw. auch mal bei den regelmäßig im comspace-Umfeld besuchten Restaurants und Buden nach dem CO2-Fußabdruck des Essens fragen und so seine „Zulieferer“ auf allen Ebenen für das Thema sensibilisieren

Erkenntnis 5: Weiter auf eigene Erfahrungen und Austausch mit anderen setzen

Man kann noch so viel lesen, Berater ins Haus holen oder in der Theorie planen. Letztendlich bringen uns zwei Herangehensweisen besonders weiter:

  1. Selber tun, Erfahrungen sammeln, aus Fehlern lernen, Erfolge erzielen und
  2. Darüber reden, uns offen mit anderen austauschen, die es genauso oder komplett anders machen und aus eigener, persönlicher Erfahrung berichten.

Was hat Moby Dick damit zu tun?

Moby Dick ist ein 1851 erschienener Roman, der in der heutigen Zeit mehr als anachronistisch wirkt. Nicht nur, weil immer mehr Menschen Walfang ablehnen, sondern auch, weil in mehr als 50% des Buches weder Wesentliches passiert noch die Story voran getrieben wird. Heutige Erzählstrukturen sind sehr viel effektiver und effizienter aufgebaut. Herman Melville erlaubte sich neben der Geschichte, das universelle, damals bekannte Wissen über Wale und Walfang in das Buch zu integrieren. 

Was wäre also geeigneter, eine Konferenz mit dem Titel tl;dr mit einer 30 Minuten Zusammenfassung von Moby Dick zu beginnen?

Kathrin Passig und Ester Seyffart nahmen sich dieser Aufgabe großartig an und so haben wir erfahren, dass es in Moby Dick bsw. hauptsächlich um die Blockchain geht: „Die Crew des Walfangschiffs Pequod hofft auf großen Gewinn und investiert enorme Zeit und Ressourcen. Aber die Schwierigkeit der Aufgabe ist zu groß und die spezialisierte Hardware versagt.“

Klar: Die Aktion war als Unterhaltung und kultureller Einschub gedacht. Funktionierte aber hervorragend, um zu zeigen, warum ein tl;dr manchmal sehr sinnvoll sein kann 😉 Auch wenn Lesen als kontemplative und meditative Aufgabe auch seine Berechtigung hat. 

Ob tl;dr als Lebensmotto taugt, muss jede_r für sich entscheiden. Die Frage ist wohl auch weniger ein ob als ein wann und in welchem Bereich.

Abschließend haben wir hierr noch 10 Talk-Highlights aus 3 Tagen:

Audrey Tang, Digitalministerin Taiwans erklärte als Hologram wie ihr Ministerium arbeitet.

Die Tools lassen sich übrigens auf der Webseite des Ministeriums herunterladen.

Alex Gerst & Jan Börner: Raumfahrt und Gesellschaft – wohin geht die Reise?

Sigi Maurer: It’s the patriarchy, stupid

Sascha Lobo: Realitätsschock

Sibylle Berg / Katja Riemann: GRM Brainfuck

Gunter Dueck: Identifikation von Bullshit und Wert

Are we a Plastic Nation …

Mads Pankow: Ich tu nur so — Warum Arbeit zur Simulation wird

#NoTechxit – Zurück zu Made in Europe

Bernhard Pörksen: Abschied vom Netzpessimismus.

Artikelbildre:publica Flickr unter CC BY-SA 2.0

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