Wie United Airlines im PR-Desaster taumelt

“Is there a doctor on the plane?” ist eine Frage, die in Filmen immer wieder gestellt wird. United Airlines muss jetzt wohl mit “Nein” antworten und hat eine PR-Krise am Hals, die sich gewaschen hat.

Was ist passiert?

Ein Inlands-Flug von United war überbucht und 4 Mitarbeiter von UA wurden am Zielort des Fluges gebraucht. Weil niemand von den Passagieren freiwillig aussteigen und auf seinen Flug verzichten wollte, wurden per Zufall 4 Fahrgäste ausgewählt, die das Nachsehen haben sollten. Ein Fahrgast wollte das nicht akzeptieren und wurde aus dem Flugzeug gebracht – und das nicht gerade zimperlich. Wenig überraschend wurde der Vorfall von den anderen Passagieren gefilmt und ein Sturm der Entrüstung fegt seit gestern abend durch das Netz.

Hashtags zum Thema trendeten quasi sofort auf Twitter, die Videos wurden über Reddit verbreitet und es dauerte nicht lange, bis klassische Medien auf das Thema aufmerksam wurden.

Einsparungen an allen Orten

Die Gründe für den Shitstorm sind – wie immer – vielfältig. Zunächst: Warum konnte es zu so einem Zwischenfall überhaupt kommen? Wie die Wirtschaftswoche Anfang des Jahres berichtete, haben die Airlines in der letzten Dekade große Anstrengungen unternommen, um Kosten zu sparen und Einnahmen zu erhöhen.

Ein großer Teil dieser Anstrengungen konzentrierte sich anscheinend auf die Auslastung der Flüge und der Drehkreuze. Laut wallstreet-online.de wurden 2016 fast eine halbe Million Passagiere überbucht und mussten auf ihren Flug verzichten.

Der Spardruck sorgte dann wohl auch für den ersten Fehler in der aktuellen Krise: Das Personal versuchte, den Mitflug von vier Mitarbeitern zu erzwingen, nachdem das Angebot von Gutscheinen im Wert von zunächst 400 US-Dollar und später 800 US-Dollar nicht angenommen wurde.

Wie der Miami Herald berichtet, hätten die Mitarbeiter auch durchaus auf Flügen von anderen Airlines mitfliegen können, aber das wäre anscheinend teurer gewesen, als die Gutscheine für “echte” Passagiere.

Vom Feuer zum Waldbrand

Was aus einem Skandal dann ein Lauffeuer macht, ist – auch wie immer – die Krisenkommunikation. Die Lernfähigkeit von vielen Organisationen ist in dem Bereich scheinbar geringer, als angenommen. In ihrer Bachelor-Arbeit untersuchte Lisa Frauke Schild die Krisen-Kommunikation bei Lufthansa und – tadaaa! – United Airlines.

Sie beschreibt die Organisationsstruktur bei UA und spricht vom Crisis Manual:

“Das Crisis Manual beschäftigt sich mit Ereignissen wie Verspätungen, basierend auf unterschiedlichsten Ursachen, sowie mit einer Bandbreite von kleinen technischen bis hin zu größeren Problemen. Inhaltlich beschreibt das Crisis Manual die einzelnen Instanzen des Informationsflusses und gibt Abläufen einen zeitlichen Rahmen vor. “

Das hat hier entweder nicht gegriffen (“Auf welcher Seite steht noch mal Gewalt gegen Passagiere?”) oder einfach nicht funktioniert.

Insbesondere die Wortwahl und der Corporate Sprech sorgten für Reaktionen irgendwo zwischen Spott und Wut. Der Euphemismus “re-accomodate” für den Vorfall schlug besonders hohe Wellen.

https://twitter.com/hashtag/reaccommodate

 

Schnell wurden “alte” Vorfälle von United Airlines aus den Tiefen des Internets geholt. Das eine Mal, als der Hund eines Veterans “abused” wurde. Oder als eine blinde Frau allein im Flugzeug zurückgelassen wurde, anstatt, wie verabredet, vom Personal aus dem Flieger geleitet zu werden. Oder eben der Parade-Fall für Krisen-PR und die Auswirkungen (sprich: Kosten!) ihres Fehlens: United breaks Guitars.

Aus dem Flugzeug auf Wikipedia

Ich weiß nicht, ob es der einzige Krisen-Fall ist, der eine Wikipedia-Seite hat, aber es ist ein bemerkenswertes Kunststück. Über 16 Millionen Mal wurde das Musikvideo von Künstler Dave Carroll seit 2008 angesehen und Huffington Post sprach 2009 von einem direkten Schaden (angesichts des Börsenkurses) von 180 Millionen Euro.

Der Schaden des aktuellen Skandals dürfte um einiges kostspieliger werden. Der Börsenkurs der Aktie fiel zu Handelsbeginn schon mal kräftig:

screen-united-aktienkurs

 

Update: Der Kurs ist dann wieder ordentlich gestiegen und SpiegelOnline schreibt drüber.

Dave Carroll hat aus der Geschichte eine ganze Karriere gebastelt, er veröffentlichte weitere UA-Songs, schrieb ein Buch und steht als Speaker auf Bühnen und spricht über Kundenservice.

Während auf Twitter die Wellen hoch schlagen, ist Nicht-Kommunizieren durchaus eine nutzbare Strategie (ja, auch wenn Watzlawick da was einzuwenden hätte). Was aber problematisch ist, ist ein zweifelhaftes Statement gefolgt von Schweigen auf allen Kanälen. Der Newsroom von UA sieht aus wie ein verlassenes Western-Dorf, es fehlt nur das Tumbleweed.

Richtig kritisch und geschäftsgefährdend wird Krisenkommunikation aber dann, wenn sich die bisherige Rede als unwahr oder unehrlich herausstellt. CEO Munoz schwieg nicht komplett, er schickte eine E-Mail an seine Angestellten, in der er sich “hinter” seine Belegschaft stellte und das Opfer der Re-Accomodation als “disruptive” (störend) und belligerent” (angriffslustig) darstellte. Diese E-Mail wurde natürlich geleakt, ist ja klar.

Um der Geschichte noch die Krone aufzusetzen, hat CEO Munoz kürzlich einen Preis bekommen. Er ist PRWeeks “Communicator of the Year”. So gut kann sich das kein Drehbuchautor ausdenken.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen

Das ist eine alte Weisheit, und sie bestätigt sich jeden Tag wieder. In den wenigen Stunden seit dem Vorfall wurde ein Unzahl an Memes, Witzen und Reaktionen produziert, die, abgesehen vom kurzfristigen Imageschaden, auch eine langfristige Wirkung in den Suchergebnis-Seiten haben werden. Ein paar Perlen habe ich im Artikel untergebracht, aber unter dem Hashtag #NewUnitedAirlinesMottos finden sich noch viel kreative Wutausbrüche. Ein gutes Beispiel für die bleibende Wirkung zeigt zum Beispiel der Vergleich eines Reddit-Users: UA vs Emirates in Sachen Überbuchung

https://twitter.com/zenmasterchris/status/851671884085174272

 

Update 12. April: Oscar Munoz hat nun reagiert und ein weiteres Statement abgegeben:

Dieses Statement hätte zu einem früheren Zeitpunkt viel Ärger vermieden. Was macht den Unterschied aus?

  • starke, empathische Worte
  • Verzicht auf Worthülsen und konkrete Sätze
  • klares Handlungsversprechen
  • klare Deadline
  • persönliche Verantwortung

Sieht Google PR-Meldungen und Pressemitteilungen als unerlaubte SEO-Maßnahme?

Google hat letzte Woche seine Webmaster Rules für Linktauschprogramme geändert, wie SiliconvalleyWatcher Tom Foremski bei ZDnet schreibt. Tom sieht in den Änderungen besonders einen Angriff von Googles auf PR-Agenturen. Ich denke, seine Erkenntnisse sind weit reichender und lassen sich auf jede Webseite übertragen, die Inhalte verbreiten und Traffic kanalisieren und Besucher anziehen will.

Google hates any other business that promotes other businesses because Google wants that money.

Das ist seine Kernaussage – nicht ganz wörtlich übersetzt: Google wird langfristig gegen alle Unternehmen vorgehen, die andere Unternehmen online promoten. Weil Google diese Kohle selber haben will. Und weiter heißt es, dass Pressemitteilungen eine Form von SEO sei. Ob die PR-Industrie diese Ansicht teile oder nicht sei dabei irrelevant, weil Google hier die Definition, den Umgang damit und etwaige Sanktionen festlegt.

Was ist denn jetzt eigentlich genau das Problem mit Pressemitteilungen?

Bis heute hat Google weder eigenes Marketing betrieben, um sich als beste Suchmaschine zu positionieren, noch hat Google einen Marketing-C-Level im Organigramm stehen und – wie Foremski feststellt – ist Google sehr stolz darauf, dafür zu sorgen, dass sie zur Selbststeuerung des Internet beitragen, indem automatisch immer die besten Suchergebnisse nach oben kommen. Das funktioniert natürlich nur so lange, wie (verdeckt) bezahlte Werbeangebote nicht die Ergebnisse verfälschen.

Soweit zur Google-Romantik und dass es qualitativ hochwertige Suchergebnisse bieten will. Auf der anderen Seite der Medaille steht ja noch etwas anderes, sehr nachvollziehbares: Google will AdWords verkaufen. Je besser die inhaltlichen Suchergebnisse, desto besser funktionieren auch die AdWords. Doof, wenn Agenturen Budget von AdWords abziehen, dass dann in bezahlte Beiträge fließt, die wiederum die Suchergebnisse verschlechtern. Quasi eine Lose:Lose-Situation für Google.

Früher bedeutete Qualität v.a. Anzahl von Links auf eine Seite. Je mehr unabhängige Links, desto höher rankte die Seite. Dann kam das Panda-Update und damit der stärkere Fokus auf Qualität. Das bedeutete: Bezahlte Links und SEO-Tricks wurden ausgesiebt, Usability und schnelle Ladezeiten trugen zur Qualitätssteigerung und damit zur Verbesserung des Suchrankings einer Seite bei. Die reine Anzahl an Backlinks wurde zum ersten Mal in den Hintergrund gedrängt.

Mit dem Penguin-Update und Penguin 2.0 wurde der Fokus noch weiter auf externe Linkqualität, Link- und Ankertexte  innerhalb von Webseiten gelegt sowie auf den strukturierten Aufbau von Webinhalten und deren Verbreitung durch Social Signals – hierzu hat ein Kollege eine 5-teilge Artikelserie geschrieben.

Was machen PR-Agenturen in Googles Augen falsch?

Sie verwässern und verschlechtern die Suchergebnisse durch gezielt platzierte Gast-Beiträge, bezahlte Beiträge in Blogs, Advertorials, bezahlten Twitter- und Facebook-Shares, gekauften Followern etc. Hier die drei neuen Punkte, die der Google Webmaster Doku hinzugefügt wurden:

  • Links mit optimiertem Ankertext in Artikeln oder Pressemitteilungen, die auf anderen Websites verteilt sind. Beispiel:
    Das Angebot an Trauringen ist riesengroß. Wenn Sie eine Hochzeit planen, suchen Sie sicher nach dem besten Ring. Sie müssen auch Blumen kaufen und einHochzeitskleid.
  • Artikel-Marketing im großen Stil oder das Posten von Kampagnen als Gast mit Ankertextlinks, die viele Keywords enthalten
  • Textanzeigen oder native Werbung, wo Artikel mit Links, die PageRank weitergeben, bezahlt werden

Für mich persönlich sind besonders die Wortwiederholungen ein Graus. Der gleiche Abschnitt zum Trauring-Beispiel aus den englischen Webmastertools macht das mit 3 mal „wedding“ und 2 mal „ring“ auf insgesamt 32 Wörter deutlicher:

Sie merken schon: Man merkt beim Lesen einfach selber, wann man es mit der Optimierung übertrieben hat 😉

Das Beispiel aus der Dokumentation zu „Forumkommentare mit optimierten Links im Post oder in der Signatur“ treibt es auf die Spitze:

Haben Sie also ein gutes Auge darauf, was Ihnen Ihre Agentur genau anbietet und in Ihrem Namen veröffentlicht – Letztendlich straft Google voraussichtlich v.a. den Kunden einer Agentur ab.

Betrifft das Problem nur PR-Agenturen?

Natürlich betrifft es im Kern- und Tages-Geschäft PR-Agenturen deutlich stärker als Unternehmen, die sich rein auf eigene Inhalte konzentrieren können. Aber auch hier kann es nicht schaden, für das Thema zu sensibilisieren und regelmäßig einen Blick in die Dokumentation von Googles Webmastertools zu werfen.

Doch die neuen Regeln werden mit ziemlicher SIcherheit auch auf bestehenden Content angewendet. Daher liegt es im eigenen Interesse die bestehenden Inhalte zu prüfen und ggf. nachzusteuern.

Tom Foremski malt für PR-Agenturen in den USA sehr, sehr schwarz, sieht sie in direkter Konkurrenz zu Google und stellt sogar in den Raum, Agenturen könnten von ihren Kunden verklagt werden, wenn durch die neuen Regeln nachträglich ein Schaden entsteht. Doch auch die zukünftige Arbeit wird nicht unbedingt erleichtert, wenn das Penalty-Damoklesschwert über jeder bezahlten Promotion schwebt. Die meisten PR-Profis in den Kommentaren des ZDnet-Artikels sind da deutlich entspannter.

Als jemand, der regelmäßig mit Google-Mitarbeitern aller Hierarchiestufen spricht gibt Tom den Rat: „Optimiert für Eure eigenen Kunden, damit die Suchmaschinen sich selber optimieren können“. Da ist durchaus etwas dran. Je besser die Webinhalte sind und je weniger Manipulationsversuche unternommen werden, desto mehr kann sich auch der Suchmaschinenanbieter auf sein Kerngeschäft konzentrieren, statt Zeit und Ressourcen in ein Katz-und-Maus-Spiel investieren zu müssen.

Meine persönliche Einschätzung ist, dass Google in den kommenden Monaten noch deutlich härtere Bandagen anlegen wird. Oder formulieren wir es so: Die Bandagen werden verfeinert, wenn nämlich der große Wust an massenhaften Presseportalmeldungen in den Griff bekommen wurde.
Denn wie gesagt: Es sieht jeden als Konkurrenten, der AdWords-Budget angreifen könnte.

Muss man mit Gastbeiträgen und Linktausch vorsichtiger werden?

Massive Kollateralschäden für alle Webseitenbetreiber sind derzeit eher nicht zu befürchten. So lange Beiträge einen Mehrwert liefern und nicht massiv in großer Zahl Links aufgebaut werden, sollte sich die Gefahr für einzelne Websitebetreiber in Grenzen halten wie SEOsweet hier auch im letzten Abschnitt beschreibt. Google geht es darum, systematische Massenverbreitung von Inhalten zu verhindern, deren einziger Zweck es ist, gezielt Suchergebnisse zu beeinflussen. Die Internetkapitäne raten dazu, die entsprechenden Methoden maßvoll einzusetzen.

Bleibt nur zu hoffen, dass Google gut unterscheiden kann, wo ein eigener und eigenständiger Beitrag aufhört und eine Pressemitteilung anfängt.