Auch solche Teams, die als Team erfolgreich in der Performing-Phase arbeiten, brauchen regelmäßig Zeit, um die eigene Zusammenarbeit und das Zusammenarbeiten zu reflektieren. Gleichzeitig schafft der Arbeitsalltag mit all seinen dringenden und drängenden Aufgaben häufig jene Hektik, die genau so eine Reflexion verhindert – und damit die Performance des Teams gefährdet. Die Team-Retro bleibt ein wichtiges Instrument, um diese Zeit zu schaffen und die Reflexion zu ermöglichen.
Jüngst wünschte sich in der Auftragsklärung zu einer Team-Retro eine Kollegin: „Mal intensive Zeit für Feedback untereinander.“ Peer-Feedback ist bei uns möglich, wenn sich das Kolleg*innen wünschen. Nur in der Vorbereitung zur Retro mit dem Team war dann auch deutlich: So ein moderiertes Peer-Feedback für alle Personen im Retro-Termin würde den Zeitrahmen sprengen. Das Peer-Feedback soll weiterhin ein Format bleiben, in dem Feedback-Empfänger*innen im Fokus stehen und Feedbackgeber*innen sich adäquat vorbereiten können.
Wertschätzende Gespräche anregen
Hier ging es darum, intensive, wertschätzende Gespräche anzuregen, damit alle Teilnehmer*innen Feedback nehmen und geben konnten.
Zusammen haben meine Kollegin Sarah Biendarra und ich ein Format entwickelt. Damit wollten wir intensiveres Feedback ermöglichen. So habe ich diesen Ablauf noch nirgends gesehen und deshalb teilen wir den Ablauf und unsere Erfahrungen damit. Und regen gerne dazu an, es auszuprobieren und eure Gedanken dazu zu teilen.
Wir nannten das Format „Slow-Dating-Feedback“. Zu Beginn sollte jede Person ausreichend Zeit für die Vorbereitung erhalten. Danach fanden wechselnde 2-er Gespräche statt, für die ebenfalls ausreichend Zeit eingeplant wurde. Wir haben sichergestellt, dass jede Person mit jeder anderen Person sprechen konnte. Ziel war es, eine ruhige Atmosphäre für authentische Gespräche zu schaffen. Das Format fand onsite statt. Alle Beteiligten waren also vor Ort. Hinweis: Wir verstehen uns als #WorkFromAnywhere-Unternehmen – zugleich können die Teams ganz bewusst auch gemeinsame Zeit an einem Ort planen.
Der Ablauf teilt sich in fünf Phasen
- Vorbereitung auf die Gespräche in 2-er Konstellation – in Stille und jeweils einzeln.
- Gespräche zu zweit.
- Zwischen den Gesprächen war Zeit, das eben Gehörte zu reflektieren, dann startete die nächste 2er Runde.
- Nach allen Gesprächen zu zweit gab es noch eine Reflexion allein, um das Gehörte wirken zu lassen.
- Reflexion in der Gruppe.
Vorbereitung der Gespräche im Termin
Die Retro hat mit einem Check-In gestartet, um zusammen den Fokus auf die Zeit zu schärfen. Wir haben bewusst darauf verzichtet, eine Vorbereitung vor dem Retro-Termin anzuregen. Wir wollten in diesem Format den “Zauber des Augenblicks“ bewahren. Die Gedanken, die jetzt in diesem Moment also kommen würden, würden die richtigen sein. In der Vorbereitung, die jede Person dann in der Team-Retro einzeln gemacht hat, waren die Teilnehmenden zusammen in einem Raum und haben still ihre Gedanken vorbereitet. Zur einfacheren Orientierung haben wir den Ablauf erklärt und als Ausdruck ausgehändigt.
Die Einladung für die erste Phase – Vorbereitung
Mit dieser Einladung sind die Teilnehmenden in die Vorbereitung gestartet.
Allein: Mach’ dir Gedanken zu deinen Kolleginnen im Team und darüber, wie ihr miteinander und zusammen arbeitet. Die folgenden Fragen können deine Gedanken anstoßen. Stelle dir dabei die Person genau vor: Was hast du erlebt, gesehen und gehört? Was hast du dabei wahrgenommen? Wie hast du dich gefühlt? Wofür bist du dankbar? Was bewunderst du? Was beeindruckt dich? Was hat dir und dem Team gutgetan? Was hat deine Arbeit und die Arbeit des Teams vorangebracht? Was hat dir deine Arbeit und die des Teams erleichtert? Was hast du gelernt? Was hat Spaß gemacht? … Mach’ Notizen & Stichpunkte, die du in den Zwiegesprächen deiner / deinem Gesprächspartner*in zum Ende eures Gespräches bitte übergibst. Du hast 15 Minuten für dich allein zur Vorbereitung.
Bögen für Notizen hatten wir vorbereitet – hier konnten die Teilnehmenden dann ihre Gedanken für jede*n Gesprächspartner*in notieren. Für diese Vorbereitung hatten die Teilnehmenden 15 Minuten Zeit (fünf Minuten pro Person).
Die Gespräche zu zweit
Die Reihenfolge der Gespräche – also welche 2er-Konstellation wann miteinander spricht – hatten wir vorher festgelegt, sodass die Teilnehmenden klare Orientierung hatten und es keine Unruhe gab. Geplant waren ursprünglich 12 Minuten pro Paarung. 6 Minuten pro Person also. Hier war schnell klar – 5 Minuten Vorbereitung reichen auch für 5 Minuten Gespräch pro Person. Es gab den Wunsch der Teilnehmenden, ein Zeichen zu geben, wenn 5 Minuten vorbei waren, damit im 2er-Gespräch gewechselt wird. So haben wir dann die Zeit etwas gestrafft: nach 10 Minuten wurde das Ende signalisiert – allerdings eher zurückhaltend (eine Klangschale ist dafür super, ein Fingerklavier auch). In der Einladung hatten wir für den Wechsel zwischen den Gesprächen auch reichlich Zeit gelassen. Auch hier zeigte sich, ganz so viel „Slow“ war nicht nötig – die Paarungen fanden sich schnell. Es war wichtig, dass diese 2er-Gespräche auch jeweils in einer geschützten Atmosphäre stattfanden. Wir hatten genügend Platz, glücklicherweise. Die Gespräche sollen ja nicht mitgehört werden.
Noch einmal für sich wirken lassen
Nachdem alle Gespräche beendet waren, gab es 5 Minuten Zeit, in der die Teilnehmenden dazu eingeladen waren, das Gehörte nachwirken zu lassen. Wir haben das so formuliert:
„Sortiere Gedanken / Gefühle und überlege in Stille, was du mit deinem Team jetzt aus den Gesprächen teilen möchtest. Was hast du erkannt? Was ist dir wichtig? Was hat dir der Austausch ermöglicht?“
Alle haben sich Notizen gemacht dazu. Dazu waren alle wieder in einen gemeinsamen Raum gekommen.
Abschluss in der Gruppe
Die Gespräche zu zweit sollten einen Raum schaffen, einander wertschätzendes Feedback zu geben. Und dem Team Raum für alle Gesprächskonstellationen zu schenken.
Die Einladung für die abschließende Reflexion in der Gruppe war dann bewusst sehr offen gehalten.
Ihr habt 15 Minuten Zeit in der Gruppe. Teile das, was du teilen möchtest. Bewahre für dich, was du gerade nicht teilen magst.
Es zeigte sich, dass sich aus den Gesprächen tatsächlich schon erste konkrete Ideen für Action Items, To-dos ergaben, die gesammelt werden konnten. Die persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse blieben dann auf der Tonspur.
Abschließende Gedanken – Fazit
Die Idee, Zeit und Raum zu geben, um einen Austausch von allen mit allen im Team zu ermöglichen, ist aufgegangen. Alle Teilnehmer*innen waren berührt und dankbar für die geteilten Wahrnehmungen. Gerade im hektischen Alltag ist es wichtig zu reflektieren, dass die Personen im Team einander wahrnehmen. Das Wissen “ich werde gesehen” im Team baut Vertrauen und authentischen Zusammenhalt auf. Die klare und angeleitete Struktur schaffte eine ruhige, sehr konzentrierte Atmosphäre in allen Phasen.
Ganz bewusst gab es in der Anleitung keine Fragen, die dazu anregen sollten, Entwicklungspotenziale für eine Person zu benennen. Die Struktur hat auch nicht dazu angeregt, Wünsche aneinander zu formulieren. Dort, wo so etwas in den Gesprächen aufkam, war es richtig und wichtig – zugleich aber nicht der Fokus.
Für die 2er-Konstellation wäre es hilfreich gewesen, die Anleitung zu ergänzen. In dem Moment, in dem beide ihre zuvor vorbereiteten Gedanken einander vorgestellt hatten, war das Ende des Gespräches etwas offen – hier fehlte Struktur. Was jetzt machen mit dem Gesagten, Gehörten? Hier könnte die Anleitung ergänzt werden. Wir hatten angeregt, die Notizen zu überreichen. Dazu würde es passen, abschließend das Gespräch gemeinsam zu reflektieren und nicht allein für sich zwischen den Gesprächen. Mögliche Fragen: „Wenn du jetzt zugehört hast: Was ist dir besonders wichtig? Wofür bist du dankbar? Was möchtest du noch einmal aufgreifen?“ So kann in der 2er-Konstellation ein guter gemeinsamer Abschluss gefunden werden.
Kleine Gruppen
Das Format eignet sich nur für kleinere Gruppen, da sonst die Zeit auch eine Team-Retro sprengt. Hier waren es 4 Personen – für bis zu 6 Personen passt es mit Sicherheit.
In dieser Retro haben wir die Feedback-Runde an den Anfang gestellt. Für dieses Mal war das auch gut so. In der Regel gehören zu den Team-Retros (das haben wir vom Scrum-Ablauf abgeguckt, bei dem in der Regel die Retro einer Review folgt) auch Reviews – also die Analyse des Erreichten. Künftig würden wir das Review, also die Betrachtung der Ergebnisse und alles, was das Team geliefert hat und welchen Beitrag zur Wertschöpfung es leisten konnte, auch an den Anfang stellen.
Die Betrachtung und Bewertung der Ergebnisse hilft, zu fokussieren, welche Ziele die Arbeit des Teams eigentlich verfolgt. Bei der Reflexion über das „Wie“ der Zusammenarbeit wird auch etwas stärker der Blick darauf gerichtet, unter welchen Kriterien oder Prämissen Zusammenarbeit und zusammen Arbeiten betrachtet werden.
Vielen Dank an Sarah Biendarra für die gemeinsame Entwicklung des Formats und an das Team, das sich in der Retro auf dieses Experiment eingelassen hat.
Eure Entdeckungen der Langsamkeit
Ihr möchtet das Format einmal ausprobieren? Die Entdeckung der Langsamkeit im Team kann ein Weg zu neuen Erkenntnissen und neuem Schwung für das Team sein. Hier findet ihr die Arbeitsblätter für das Slow-Dating-Feedback. (Passt diese gerne so an, dass ihr gut damit arbeiten könnt.)
Teilt gerne eure Fragen / Anregungen / Erfahrungen im Kommentar.
- Wir nennen es Slow-Dating-Feedback - 18. Juli 2023
- Zwischen Alt und Neu das Gute finden – So geht Modern Work - 4. Juli 2023
- … und dann Netzwerken. Online! - 7. September 2020
Man unterschätzt oft, wie wichtig das „ich werde gesehen“ ist. Mein alter Chef, hat das einmal toll gezeigt. Er hat jeden Mitarbeiter spontan einen Bieröffner mit Alpaka-Motiven gekauft, als er sie in einem Souvenirshop sah, kurz nachdem wir zusammen eine Alpaka-Tour gemacht hatten. Diese Geste zeigte uns, dass wir mehr als nur Nummern im System sind.
Die Idee mit dem ‚Slow-Dating-Feedback‘ finde ich klasse! Die Zeit vor Weihnachten wäre perfekt, um damit anzufangen, damit das Feedback vielleicht direkt im nächsten Jahr umgesetzt werden kann.