Le-bens-pha-sen-fle-xi-bi-li-tät. Ein Wort mit 9 Silben würde vermutlich fast jede*r Lektor*in rot anstreichen. Ja, der Begriff Lebensphasenflexibilität ist sperrig. Aber er drückt genau aus, was wir unter gutem Arbeiten verstehen und wenn man es einmal verinnerlicht hat, fühlt es sich auch gar nicht mehr so schlimm an. Versprochen.
Ein neues Wort für Familienfreundlichkeit?
Ja und nein. Tatsächlich war Familienfreundlichkeit DAS Thema, als ich vor 9 Jahren bei comspace im HR-Bereich einstieg. Ich selbst erinnere mich noch an die familienfreundlichen Wow-Momente in den ersten Wochen bei comspace und auch die tollen Beiträge zu unserer Blogparade über “Familienfreundliche Arbeitgeber”. Im Jahr 2014 wurden wir dann von der Stadt Bielefeld als familienfreundliches Unternehmen ausgezeichnet. Die Gründe hierfür waren z.B. unsere schon damals sehr flexiblen zeitlichen und räumlichen Arbeitsmodelle, Bezuschussung von Kindergartenbeiträgen und Sonderurlaub für Einschulung.
Von der Familie zur Lebensphase
Irgendwann wurde uns klar: Familienfreundlichkeit ist richtig und wichtig, aber nicht alles. Der Fokus lag bei uns überwiegend auf einem Familienbegriff, der gleichbedeutend damit war, kleine Kinder zu versorgen. Dass wir alle Teil einer mehr oder weniger vielschichtigen Familie sind und eventuell irgendwann Angehörige betreuen oder pflegen, fehlte in diesem Konzept. Außerdem gibt es viele Gründe für Flexibilität, die nichts mit “Familie” zu tun und dennoch ihre Berechtigung haben. Diese Gründe möchten wir respektieren und ihnen einen Platz in der individuellen Arbeitsgestaltung einräumen.
Und so fingen wir an, eher in Lebensphasen zu denken. Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit kam dann plötzlich auch zur Sprache durch den Kollegen, der einige Monate neben dem Beruf Zeit für seinen Motorradführerschein brauchte. Oder von der Kollegin, die ihre privates nebenberufliches Studium zeitlich besser mit dem Job vereinbaren wollte. Oder von dem Kollegen, der seit Jahren jeden zweiten Freitag frei hat, um Zeit für seine Hobbies und Familienthemen zu haben (bei uns mittlerweile bekannt als “das Tilmann-Modell” 🙂 ).
Work from Anywhere als Booster für Lebensphasenorientierung
Während der letzten drei Jahre hat die Coronapandemie viele Lebensentwürfe durcheinander gerüttelt. Sinnfragen, Veränderungswünsche und geänderte Ansprüche an die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben schaffen neue Anforderungen an zeitgemäße Personalstrategien.
Bei comspace erleben wir das so: Der plötzliche remote-first Modus hat uns eine steile Lernkurve in Sachen hybrider Zusammenarbeit beschert. Unser Recruiting-Radius wurde größer und mit ihm auch die Anforderungen an remote Onboarding und remote Retention. Gleichzeitig gewinnen alle Kolleg*innen Flexibilität im Großen und Kleinen, bei der täglichen Tagesgestaltung bis hin zur Workation. Work from Anywhere ist also eine wichtige Komponente bei der Gestaltung lebensphasenorientierter Arbeitsbedingungen, wenn wir es richtig implementieren.
Strategischer Blick auf Lebensphasenorientierung
Mittlerweile setzt sich allgemein immer mehr die Ansicht durch, dass die Employee Journey auch eine Lebensphasenreise ist (Empfehlung hierzu: Die Podcastfolge Lebensphasenorientierte Personalstrategie von Smaro Sideri mit Persoblogger Stefan Scheller). Wer als Hochschulabsolvent*in in ein Unternehmen kommt, hat ganz andere Bedürfnisse als jemand mit 20 Jahren Berufs- und noch mehr Lebenserfahrung. Unternehmen tun gut daran, hierfür flexible Konzepte in den Arbeitsmodellen und bei Benefits (z.B. mit Startups wie Benify) anzubieten („Benefits as a Service“ ist auch einer von fünf Recruiting-Trends in den Trendence Recruiting Trends 2023).
Für uns heißt das, dass wir weiter den Kolleg*innen zuhören und ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Wir bieten auch weiterhin bestmöglich flexible Arbeitsmodelle an. Wer seine*ihre Arbeitszeit reduzieren oder auch wieder erhöhen möchte, kann dies in Absprache mit dem Team tun. Die tägliche Arbeitszeit kann nach den eigenen Bedürfnissen ausgerichtet werden, der Arbeitsort dank Work from Anywhere mittlerweile auch. Wir unterstützen klimafreundliche Mobilität mit dem JobRad oder ÖPNV genauso wie die Aufstockung der späteren Rente über vermögenswirksame Leistungen.
Darüber hinaus nehmen wir die Flexibilität weiterhin ernst und versuchen, für jedes unvorhergesehene Ereignis eine für alle Beteiligten sinnvolle Lösung zu finden. Nicht planbar sind beispielsweise Erkrankungen, die einen längeren Krankenhausaufenthalt und anschließend eine Wiedereingliederung nötig machen. Hier versuchen wir – auch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus – die Arbeitsbedingungen (Ort, Wochen- und tägliche Arbeitszeit) gemeinsam mit dem*der Kolleg*in so zu gestalten, dass gesundes Arbeiten so gut es geht möglich ist.
Ausblick für HR-Teams
Meine Empfehlung für HR-Teams ist zu verinnerlichen, dass das Leben nicht statisch ist und die Arbeit sich in diesem Flow mitentwickeln können sollte. Dies erfordert individuelle, flexible Lösungen. Alle, denen der Begriff Lebensphasenflexibilität jetzt schon leichter von den Lippen geht, haben den ersten Schritt in diese Richtung getan. 🙂
Wie gestaltet ihr die einzelnen Lebensphasen in der Employee Journey?
Welche Impulse (Artikel, Podcasts, Bücher) könnt ihr zu dem Thema empfehlen?
Teilt gerne eure Perspektive in den Kommentaren.