Hey Sachar,
ich schreibe Dir, weil Du vor ein paar Tagen einen Gastbeitrag in der w&v veröffentlicht hast. Und weil ich mich darüber geärgert habe. Ich kenne Dich als cleveren Kommunikator und als sympathischen Podcast-Host und diesen Text – so gut geschrieben er auch sein mag – finde ich oberflächlich und kurzsichtig. Deine 3 Gründe, warum New Work nicht in der Agenturlandschaft funktioniert, stützen Deine These nicht – sie arbeiten sogar gegen Dich.
Doch der Reihe nach. Du schriebst:
Du hast Recht. Und gleichzeitig Unrecht.
Worthülse New Work nervt
Der Begriff nervt, ja. Er nervt zum einen, weil er im Übermaß verwendet wird. Wie das Lied, das eigentlich gefällt, aber über Heavy Rotation einfach zu oft in den Gehörgang gedrückt wird.
Zum anderen nervt der Term, weil der Begriff als Hülse, als Gefäß gebraucht wird. Wie es bei vielen Buzzwords (insbesondere den weniger intuitiv verständlichen) geschieht, projizieren wir alle das in New Work, was wir gerne darin sähen – oder eben nicht.
Es ist ein Sammelbegriff und je nach Definition, Ausprägung und Perspektive enthält das Gefäß Dinge, die Dir als Mensch und Unternehmen bestimmt sehr wichtig sind.
Wenn Du Frithjof Bergmann fragst, quasi den Erfinder des Begriffs, dann hat seine (vermutliche) Antwort wenig mit dem zu tun, was Du unter New Work verstehst. Er sah vor 40 Jahren in New Work eine Art Aufstand gegen die Knechtschaft der Lohnarbeit. Das, was daraus geworden ist, findet er ärgerlich und nennt es “Lohnarbeit im Minirock”.
Hipsterbullshit für Arbeitsfaule?
Du scheinst in New Work ausschließlich laissez-faire, Rumlümmeln in exotischen Sitzmöbeln und Latte trinken in hippen Läden zu sehen. Ich verstehe den Eindruck. Auf der NWX18 und auch in vielen Medienberichten kann man den Eindruck gewinnen. Aber nur dann, wenn man nicht genau hinguckt.
Und das ist der Part, bei dem ich mich geärgert habe und ein bisschen enttäuscht von Dir bin. Normalerweise guckst Du genau hin und versuchst, Dinge zu verstehen. Hier tust Du es nicht. Da Du aber immer noch clever bist und laut Deiner Timeline länger an dem Text gebrütet hast, frage ich mich, ob es Dir einfach nur um die Aufmerksamkeit durch Kontroverse geht.
Schließlich mangelt es nicht an Texten im Netz mit allen möglichen Facetten und Praxisbeispielen zu New Work. Es gibt eine ganze Anzahl von Unternehmen, an denen Du sehen könntest, dass New Work harte Arbeit ist. An denen Du hättest sehen können, dass Deine Interpretation des Begriffs nicht allgemeingültig ist.
Dann gibts da draußen jede Menge Leute, die nicht nur heiße Luft erzählen. Lars Vollmer zum Beispiel, einer der Gründer von intrinsify.me, sagt in einem Interview bei Otto zum Beispiel das hier über New Work:
“Ich bin der Überzeugung, Menschen werden vor allem zufrieden, wenn sie mit den Kollegen ihres Unternehmens zusammen wirksam seien können und erfolgreich werden – das ist die elementarste Sinnstiftung.”
Das könntest Du unterschreiben, oder?
Auf unserem Hashtag #arbeitenbeicomspace definiert keiner New Work, aber man kann sich ein Bild davon machen, was das für uns bedeutet. Meine Kollegin Sarah Biendarra zeigt hier im Blog immer wieder ihre Sicht auf New Work. Hier zum Beispiel drei einfache Methoden für New Work im Alltag.
Ich persönlich sehe in New Work Augenhöhe (auch und gerade über Hierarchie-Ebenen hinweg), Respekt im Umgang mit Mitmenschen und Vertrauen in die Motivation und den Willen der Kolleg*innen etwas zu schaffen.
Agentur = Überstunden – oder?
Du sagst, wir sind Dienstleister, wir können uns nicht immer aussuchen, wann wir arbeiten. Stimmt. Das muss auch nicht sein. Klar kommt es vor, dass “die Arbeit” einen länger am Schreibtisch hält und das Freizeit, Familie oder das Zuhause warten müssen. Aber wie oft passiert das bei Euch?
Bei uns kommt das unregelmäßig vor und wir tun viel (zum Beispiel im Projektmanagement) dafür, damit es selten(er) vorkommt. New Work ist in dem Kontext nicht, den Stift fallen zu lassen, und “nach mir die Sintflut” zu sagen. New Work ist der Wille in einer Organisation, die Ausnahmesituation Ausnahme bleiben zu lassen.
In einem offenen Brief an potentielle Bewerber habe ich Unternehmen mit Leuten auf einer WG-Party verglichen, das passt hier ganz gut. Manche (viele?) Unternehmen drängeln sich auf das Sofa, auf dem Du sitzt, kommen Dir zu nahe, schreien Dir ins Ohr.
New-Work-Unternehmen setzen sich auf die Lehne, erzählen Dir etwas, aber hören auch zu. Sie sind nicht starr und formen sich mit Dir und um Dich herum. Sie beanspruchen nicht den Mittelpunkt für sich, sondern akzeptieren, dass auch andere Dinge in Deinem Leben wichtig sind.
Ich könnte falsch liegen, aber ich glaube, dass Hypr so ein Unternehmen ist.
Zwei Non-Gründe
In Deinem Rant fährst Du noch zwei Gründe auf, warum New Work in der Agentur- und Beraterbranche nicht funktionieren könne. Du sagst, wir tragen Verantwortung für die Ressourcen unserer Kunden. Du sagst, wir wollen Stolz auf unseren Job sein. Richtig.
Wie bitte schön widerspricht das de(m/n) New-Work-Gedanken?
Überhaupt nicht. Wir bei comspace sind knapp 100 Kolleg*innen und haben große Achtung für das Geld unserer Kunden. Wir bauen extrem anspruchsvolle Lösungen für große Unternehmen – und, Überraschung, sind stolz darauf. Wir können unsere Arbeitszeit flexibel und ohne Angabe von Gründen anpassen – und auch darauf sind wir stolz.
Un-Arbeit für bessere Arbeit
Wir machen viele Dinge, die Du (vermutlich?) nicht als Arbeit sehen würdest. Grillen zum Beispiel, wenn wir einen Launch feiern. Wie heute. Da hat Grillkönig Martin sich die Schürze übergeschmissen und für uns alle Hamburger-Patties und ein paar Würstchen gegrillt.
Oder Gärtnern. Gestern mittag habe ich in unserem Innenhof Salat, Erdbeeren und andere, teilweise essbare Pflanzen in Hochbeete gepflanzt. Weil es schön ist, weil es geht und weil wir alle davon profitieren.
- Bezahlt dafür ein Kunde? Nö.
- Montags frühstücken wir gemeinsam. Ist das effizient? Nö.
- Freitags abends trinken wir traditionell das #feierabendbier. Arbeiten wir hart? Jo.
- Macht das alles Spaß? Jo.
- Hilft es uns, besser zu arbeiten? Ja, ich glaube schon.
Sachar, ich glaube, Du bist geblendet von negativen Eindrücken. Du hast einen Bias entwickelt. Mein eigener Bias sagt, Du hast zu viel Kontakt mit kickerspielenden Startups aus Berlin gehabt. Zu oft erlebt, wie Dampfplauderer Konferenzbühnen füllen. Du hast negative Aspekte der Arbeitswelt als New Work betitelt.
Wenn Du in Bielefeld bist und wirklich Interesse an dem Thema hast, sag Bescheid. Vielleicht ist ja Montag, dann komm zum Frühstück. Vielleicht ist es Freitag und wir trinken ein Bier. Oder Du kommst zwischendurch und wir sprechen darüber, wie wir hart arbeiten, wie wir New Work interpretieren und wie gut wir damit fahren. Bis dahin hör ich einfach weiter ImPRove Communications (wann gibt’s neue Folgen?) und Talking Digital.
Viele Grüße,
Jan
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