HR-Ausblick: Über Remote Work, digitale Human Relations und den comspace-Weg

Sehr lange habe ich nichts mehr geschrieben. Die Coronapandemie hatte uns als Firma, das P&C-Team und mich persönlich fest im Griff. Seit März 2020 plötzlich und komplett im Homeoffice, war ich einerseits wie gelähmt und gleichzeitig die ganze Zeit gehetzt. Nicht daran zu denken, einen längeren Gedanken zu einem Thema zu fassen, geschweige denn ihn auch aufs digitale Papier zu bringen. Richtig tolle Gelegenheiten für HR-Reflexion und -Vorausschau habe ich daher verstreichen lassen – wie den Booksprint zu #RethinkingHR von Doppeltspitze oder die Blogparade zu “Recruiting Learnings durch Corona” von Tim Verhoeven.

Bis ich vor Kurzem einen interessanten Austausch auf Twitter hatte – angestoßen durch einen Tweet über Homeoffice-Etikette von Antje Tomforde. Am Ende ging es im Austausch mit meinem Kollegen Matze gar nicht mehr nur ums Homeoffice-Outfit, sondern um die Frage, wann wir persönlichen Kontakt dem virtuellen vorziehen. Beim ersten persönlichen Kennenlernen oder Eskalationsgesprächen zum Beispiel, so waren wir uns schnell einig. Aber stimmt das? Machen wir es uns da nicht zu einfach?

Photo by Carl Heyerdahl on Unsplash

Nach 10 Monaten komplett im Homeoffice wird mir immer mehr klar: Unsere (Zusammen-)Arbeit wird sich grundlegend ändern. (Mit “uns” meine ich vor allem Wissensarbeiter*innen, die spätestens seit der Pandemie das Privileg haben, ihren Arbeitsplatz ins Digitale zu verlegen – meistens jedenfalls, wie die Diskussion um „Macht Büros zu“ zeigt). Dass diese Veränderung viel mehr ist als ein bloßes “Wir machen unser Daily Standup nun über Zoom” wird mir in den letzten Wochen immer stärker bewusst. 

Man muss sich davon verabschieden, dass wieder alles so wird, wie es war.

Birgit Wintermann, Bertelsmann Stiftung

Mittlerweile sehe ich es so: Wenn wir Konfliktgespräche in Kundenprojekten digital 1-zu-1 so führen, wie wir es analog tun würden, können sie nicht gleichwertig sein. Das gleiche gilt fürs erste Kennenlernen mit Kund*innen oder neuen Kolleg*innen. Über ihre digitale Onboardingefahrung beim internen Stellenwechsel bei Siemens hat Dr. Emily Abold das gut beschrieben. Meine Erkenntnis daraus: Das Remote-Onboarding (und –Offboarding!) bringt nicht nur einen geänderten Ablauf für den oder die neue*n Kolleg*in, sondern fürs ganze Team, z.B. indem  auch die bestehenden Personen anders eingebunden werden und sich aktiver vorstellen (in diesem Beispiel mit persönlichen Steckbriefen aller Teammitglieder).

.c Sneak Peek: Unser internes Coaching-Team hat z.B. kürzlich einen digitalen Offboarding-Workshop für den/die das Unternehmen verlassende*n Kolleg*in und das zugehörige Team in Miro entwickelt und im comspace-internen Open Space vorgestellt.

Digitalkompetenz FTW!

In den nächsten Monaten und Jahren steht uns vermutlich eine große Veränderung bevor, für die wir Digitalkompetenz dringend brauchen (gut beschrieben z.B. von Unternehmensberater Andreas Diehl). Wie werden digitale Methoden passend zum jeweiligen Setting & Problem auswählen und konfigurieren, Zusammenhänge und Rückkopplungen mit anderen externen & internen, digitalen & analogen Gegebenheiten planen, erfahren und sie iterativ gestalten. Das alles erfordert neben digitalem Know How auch Veränderungsbreitschaft, Ambiguitätstoleranz und Empathie. Und das nicht nur für Führungskräfte, sondern (in unterschiedlichen Ausprägungen) für alle Mitarbeitenden. 

Kurz vor Weihnachten hatte der YouTuber und Zeit-Kolumnist Rezo diesen Wandel gut beschrieben, als er beschrieb wie man sich digital nah sein könne:

Trotzdem würde ich nun gern widersprechen, wenn es heißt, Nähe sei digital nie gleichwertig herzustellen. Vielmehr möchte ich als jemand, dessen Leben sich größtenteils vor Bildschirmen abspielt und der schon länger tausendfach pro Jahr mit Zuschauern direkt und noch viel häufiger indirekt digital interagiert, bestätigen, dass man sich dennoch digital nah sein und fühlen kann, auf ganz verschiedenen Weisen.

Rezo

Diese unterschiedlichen Weisen anzunehmen, zu durchdenken und sie zu gestalten wird eine DER Herausforderungen der kommenden Monate sein. Dabei sollten wir den Fehler vermeiden, online die Echtwelt nachbilden zu wollen. Das Handelsblatt beschrieb es kürzlich treffend mit folgender Überschrift: Vernetzt, aber einsam – warum Unternehmen eine neue Arbeitskultur benötigen.

Photo by Chris Montgomery on Unsplash

Human Relations wird digital

Diese Überlegungen gehen an die Grundsubstanz von HR als Human Relations. Was sind Beziehungen im Digitalen, wie etabliert und pflegt man sie? Ist es der Weg, unser seit 2016 analoges intrinsify-meetup (später Arbeitswelten Open Space) einfach als digitale Kopie weiterzuführen? Ich weiß es (noch) nicht. 

c. Sneak Peek: Derweil probiert unser Marketing-Kollege verschiedene Proximity Chats wie Topia oder Gathertown aus und erzählt uns beim Teamtreffen begeistert von diesen neuen Möglichkeiten. 

Was ich zunehmend meine zu wissen ist, dass die Veränderung die uns das Jahr 2020 plötzlich gebracht hat, nahezu alle HR-Bereiche betrifft, z.B. auch digitale HR-Administration, Gesundheitsmanagement und digitale Führung. Über die drei Bereiche HR-Tech, Recruiting und Personalentwicklung habe ich mir im ersten Schritt näher Gedanken gemacht:

HR-Tech

Wenn wir Digitale Modellierer werden wollen, also mit digitalen Methoden kundenzentriert arbeiten und weiterhin Beziehungen gestalten möchten, müssen wir eben diese Methoden kennen, beurteilen können und ständig dazulernen. Dabei muss nicht jede technologische Entwicklung adaptiert werden, aber ich halte es für wichtig “einen Überblick zu haben”, Trends zu kennen und einordnen zu können, damit wir eine Antwort auf die Frage haben, wann emotionale künstliche Intelligenz zuverlässig, diskriminierungsfrei und rechtssicher im Recruiting eingesetzt werden könnte oder wie in Zukunft Avatar-gestützte hybride Meetings gestaltet werden können

.c Sneak Peek: In der Zwischenzeit versuchen wir bei P&C unsere vorhandenen Digitalen Tools für die geänderte Zusammenarbeit anzupassen. Ist Trello noch hilfreich für die teaminterne Koordination? Wahrscheinlich probieren wir demnächst mal Jira-Tickets für die Abstimmung von To Dos.

Recruiting

Im Recruiting gibt es aus meiner Perspektive gleich zwei Herausforderungen:

Einerseits die Digitalisierung des Recruiting- und Onboardingsprozesses an sich. Mit einem digitalen Medium verändern sich die Anforderungen an Ablauf, Gestaltung und Kommunikation im Prozess. Viele gute Tipps hierfür gibt es zum Beispiel in diesem Sammelbeitrag mit Experten-Tipps für ein erfolgreiches Online Vorstellungsgespräch und Onboarding.

Darüber hinaus wird es – neben dem mittlerweile zum Klassiker avancierten Cultural Fit – auch um den Future Fit beim Recruiting und der Personalentwicklung gehen, also die zu erwartende Passung im Hinblick auf die Unternehmensentwicklung und in Zukunft benötigte Kompetenzen.

Als der Human Resources Manager vor einigen Jahren gefragt hat, was die digitale Transformation mit HR zu tun hat, habe ich unter anderem mit der Notwendigkeit für folgende Kompetenzen geantwortet:

  • Fähigkeit zur Selbstorganisation
  • Ambiguitäts– und Fehlertoleranz
  • Prozess- und Veränderungskompetenz
  • Fähigkeit zur Lösung abstrakter und komplexer Probleme
  • Verantwortungsbereitschaft und Gestaltungswille
  • Kommunikations- und Teamfähigkeit

Diese Aufzählung kann ich noch immer so vertreten und möchte einige Punkte ergänzen:

Kommunikationsfähigkeit meint für mich vor allem Metakommunikation und den Shift von synchroner zu mehr asynchroner und textbasierter Kommunikation. Wir werden mehr Informationen verschriftlichen und metakommunikativ besprechen. Auch die Fähigkeit und Bereitschaft zu virtueller Kommunikation wird entscheidend, z.B. muss Informations-und persönlicher Austausch öfter aktiv herbeigeführt und gesteuert werden und Meetings profitieren von Check-ins an denen sich alle beteiligen.

In der kürzlich erschienenen Podcastfolge von Klartext HR mit Persoblogger Stefan Scheller hat sein Gesprächsgast Julian Knorr das Digitale Mindset als Begriff erläutert. Gemeint ist damit eine Mentalität, die geprägt ist von Kritikfähigkeit, einem konstruktiven Umgang mit Scheitern und Eigenverantwortung. 

Ich finde auch das Konzept des Growth Mindset als veränderungsorientierte Haltung hat in diesem Kontext seine Berechtigung. Wie auch immer wir das zugrundeliegende Konzept nennen – unser Recruiting muss sich auch an den erwarteten zukünftigen Kompetenzen ausrichten. 

Und noch was: Neben dem Future Fit in Sachen Kompetenzen wird das Recruiting vermutlich wertebasierter ablaufen müssen, also mit Fokus auf geteilten Grundannahmen über den eigenen Arbeitsbereich, die Fähigkeit zur digitalen Kommunikation und kollaborativer Zusammenarbeit in hybriden Settings.

.c Sneak Peek: Währenddessen erarbeiten wir für comspace ein neues remote-first Recruiting-Konzept mit frischem Blick auf die Candidate Experience beim virtuellen gegenseitigen Kennenlernen. Bist du gerade auf Jobsuche? Melde dich gerne bei uns und vielleicht gestalten wir die zukünftige Arbeitswelt bei comspace gemeinsam 🙂

Personalentwicklung

Die Personalentwicklung wird zum Lernbegleiter auf der individuellen Digitalisierungsreise aller Kolleg*innen. HR wird die Kolleg*innen dabei unterstützen müssen, ihre Digitalkompetenz weiterzuentwickeln und vermehrt in digitalen Umgebungen zu lernen. Die aufgezeigten Future Fit-Kompetenzen und -Mentalitäten sind auch hier ein wichtiger Baustein für das Angebot von Lernformaten und -inhalten.

Darüber hinaus wird es darum gehen, die vielfältigen Unsicherheitsmomente in der Umstellung von Arbeitsweisen, Prozessen und Methoden zu moderieren und auszuschöpfen, also ihr Potenzial für nachhaltige Veränderung gemeinsam zu nutzen. 

c Sneak Peek: Unser P&C-Kollege Peter hat im letzten Jahr seine Ausbildung zum Agilen Lerncoach abgeschlossen und unterstützt seitdem die Kolleg*innen mit individueller Lernbegleitung.

Photo by Vlad Bagacian on Unsplash

Remote First – Der comspace Weg

Bei comspace sind wir nun mittendrin in dieser digitalen Transformation.

Viele Jahre lang war unser Büro in Bielefeld der Dreh- und Angelpunkt für so ziemlich alles: Arbeitstage, Feierabendbier, Workshops, Kundentermine, Kennenlerngespräche mit Bewerber*innen und das Sommerfest. Unter dem Begriff “Lebensphasenflexibilität” war bereits vorher zeit- und ortsflexibles Arbeiten möglich – wirklich mobiles Arbeiten haben aber nur wenige von uns in Anspruch genommen.

Für gewisse Anlässe wird unser Büro auch weiterhin die Zentrale sein, für soziale Events, Vernetzung und kollaboratives Erarbeiten neuer Themen zum Beispiel. Routinetätigkeiten, strukturiertes Abarbeiten von To dos und konzentriertes Arbeiten werden in Zukunft anderen Orten vorbehalten sein. Das kann das Homeoffice sein aber auch andere beliebige Orte, an denen sich gut arbeiten lässt (z.B. im Pioneers Club oder auch am Ferienort im Rahmen einer Workation). 

Ich habe jetzt einfach Urlaub mit den Schwiegereltern im Herbst gebucht. Selbst wenn ich bis dahin keine Urlaubstage mehr übrig habe, arbeite ich einfach in der Ferienwohnung von dort.

Eine comspace-Kollegin

Ganz sicher werden wir auf unserem Weg viel lernen – Wie gehen wir ggf. mit unterschiedlichen Zeitzonen um, wenn synchrone Kommunikation gefordert ist? Zu welchen Anlässen finden wir uns in Bielefeld (oder anderswo) zusammen und wie bilden wir das Reisemanagement ab? Welche Hardware, Tools und Prozesse brauchen wir für Arbeiten mit dem remote first-Ansatz? 

Zur Koordinierung der ersten Schritte haben wir bei comspace eine Projektgruppe gegründet, die im ersten Schritt die technischen und softwareseitigen Grundlagen für hybrides Arbeiten ermöglichen und die veränderte Nutzung unserer Bürofläche gestalten soll. Für die Mitarbeit in dieser Gruppe haben sich Kolleg*innen aus unterschiedlichen Teams und Tätigkeitsbereichen freiwillig zusammengefunden, um den remote first-Ansatz mit Leben zu füllen.

Beim Auftakttreffen in dieser Woche war ich ehrlich gesagt ein wenig aufgeregt, denn es fühlte sich an wie der Aufbruch zu einer gemeinsamen Reise mit einem greifbaren Ziel: eine menschliche, lebensphasenfreundliche, nachhaltige und inklusive Arbeitswelt. Auf geht’s!

Sarah Biendarra

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