Mein Kollege Jan und ich waren als Newbies beim Digital Kindergarten in Hamburg und unsere Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Der Digital Kindergarten hielt, was er versprach. Mit seiner einzigartigen Mischung aus Erleben, Experimentieren, und Ausprobieren von digitalen Technologien sticht das Event aus anderen Veranstaltungsformaten heraus. Statt langer Vorträge standen 30-minütige Impulsvorträge, interaktive Workshops und eine reichhaltige, digitale Spielwiese auf dem Programm.
Veranstaltet von der Hamburger Agentur achtung! und seinem Gründer und CEO Mirko Kaminski fand der Digital Kindergarten in diesem Jahr zum 3. Mal statt und konnte die Besucherzahl von Jahr zu Jahr verdreifachen. Auch das spricht für den Erfolg. Für die rund 3.000 Teilnehmern ging die Reise in diesem Jahr in das Millerntor-Stadion – eine passende Location und würdige Kulisse.
Was hat uns begeistert und inspiriert?
Kurz gesagt: mehr, als wir Zeit hatten, uns genauer anzusehen. Wie oft bei solchen Veranstaltungen war der eine Tag zu kurz, um uns mit all dem zu beschäftigen, was uns interessant erschien.
Hier einige unserer Highlights:
Musik und künstliche Intelligenz
Dr. Matthias Röder vom Karajan Institut, Salzburg machte mit uns einen interessanten Ausflug in die Welt der analogen und zunehmend digitalisierten Musik. Neuronale Netzwerke werden mit Tausenden und Abertausenden Musikdaten gefüttert, um Strukturen, Harmonien und Orchestrierungen zu lernen. In einem konkreten Beispiel wurde das Netzwerk auf eine Choralharmonisierung von Joh. Seb. Bach trainiert.
Die Original-Bachmelodie unterlegte die KI mit neuen Stimmen, die zwar (noch) nicht 100%-ig nach Bach, aber durchaus harmonisch klangen. Die Kombination aus Mensch- und Technologieleistung ist in der Musikwelt auf dem Vormarsch. Songs, deren Text und Melodie von Menschen und die Musik von KI gemacht ist, sind keine Seltenheit mehr, zeigte Matthias Röder am Bsp. des Songs Break Free der Sängerin Taryn Southern.
Apps können aus einer vorgegebenen Melodie ein fertiges Musikstück erstellen. Und in einem kürzlich durchgeführten Experiment in China hat ein KI-gesteuertes Klavier einen Cellisten begleitet und sich seinem Spiel in der Begleitung flexibel angepasst.
Was heißt das für die Zukunft? Beispielsweise,
- dass das Erlernen von Instrumenten mit KI gamifiziert und damit erleichtert werden kann.
- dass Laien zu Komponisten werden können.
- dass sich das Google Books-Konzept auch für Musik eignen könnte.
- Aber auch, dass Geschäftsmodelle wegfallen und sich das Lizenzgeschäft grundlegend verändern wird, denn für von Maschinen produzierte Musik gibt es keine Lizenzen.
Das Moonshot Innovation Game
Dieser Workshop und war mein persönliches Highlight. Meine Kollegin Sarah, die den Gaming Ansatz kürzlich auf dem Digital Misfits Festival ausprobieren durfte, hatte mich bereits neugierig gemacht. In dem von Till Hasbach und Martin Wiens von The Dive entwickelten innovativen Spiel geht es um schnelle Innovationspitches, bei denen die eingebrachten Business Ideen in mehreren Runden auf den Prüfstand gestellt werden. Dabei werden sie mit einer Vielzahl an Herausforderungen, Einschränkungen und Hindernissen konfrontiert und dabei auch gerne mal zerstört. Das Ganze geht – wie der Name schon sagt – auf spielerische Weise mit Material wie Knete, Spielfeld und Aktionskarten vonstatten.
Das Aufeinanderprallen verschiedenster Ideen und Herangehensweisen aus den diversen Teams und die notwendigen schnellen Reaktionen auf Veränderungen zeigten deutlich, wie flexibel und kreativ Unternehmen sein müssen, um Innovationen erfolgreich auf den Weg zu bringen.
Meinung auf Knopfdruck: Appinio
Appinio ist zum einen eine App für den Endverbraucher, die stark auf Gamification setzt. Die User sammeln in der App Punkte für irgendwelche Ranglisten und erfreuen sich am eigenen Fortschritt. Wie sie die sammeln? Sie beantworten eine Vielzahl von Fragen. Gibt es Aliens? Heißt es „die“, „der“ oder „das“ Nutella? Mögt ihr lieber Winter oder Sommer? Zwischen all den Banalitäten sind dann auch Fragen, die es in sich haben.
Denn Unternehmen können im Backend von Appinio Fragen stellen und Umfragen erzeugen. So hat Lousia von Appinio auf der Bühne live eine Umfrage zu den alten und aktuellen Logos der Marke Douglas durchgeführt. In 7 oder 8 Minuten beantworteten 170 Leute die Umfrage und sie konnte den Zuschauern die Macht von Appinio demonstrieren.
Was für Möglichkeiten für Marketer, Produktentwickler, Entrepeneure. Für ein paar hundert (ich bin versucht, „lumpige“ zu sagen) Euro wertvolles Feedback von hunderten oder tausenden echter Menschen bekommen inklusiver detaillierten Analyse-Daten. Wow. Damit werde ich auf jeden Fall experimentieren.
Produktentwicklung zum Quadrat
Mein zweites Highlight kommt von Indeed. Nein, nicht die Jobsuchmaschine, sondern eine Produktenticklungsagentur aus Hamburg. Das Großartige an ihrer Masche auf dem Stand war nicht die Nützlichkeit, wie eben bei Appinio. Im Gegenteil, die Masche von Indeed ist komplett nutzlos. Aber gerade deswegen beeindruckend und genial.
Auf dem Stand bekommt der Besucher zunächst ein Headset aufgesetzt, das die Gehirnströme misst. Creepy. Die Hirnströme werden in Noten übersetzt, die ich auf einem Bildschirm sehen konnte. Ich konnte meine Gedanken sehen und hören, wie sie Musik gemacht haben. Soweit, so cool.
Dann wird ein Stück meiner „Komposition“ einer KI übergeben. Wahrscheinlich (so ganz klar wurde das nicht) Coconet, der gleichen KI, die auch für das Google Doodle zu Bachs Ehren (www.google.com/doodles/celebrating-johann-sebastian-bach) verantwortlich war. Mein Hirn-Snippet benutzt die KI als Motiv um eine etwas längere Melodie zu produzieren.
Dann füttert ein Mitarbeiter eine eigens für diese Anwendung gebaute Maschine mit einer Lochkarte. Ja, richtig gelesen, eine Lochkarte. Die Maschine fängt an zu rattern und stanzt Löcher. Ich bekomme die fertige Lochkarte und darf sie ausprobieren. An einer Minidrehorgel. Zum Schluß bekomme ich die Lochkarte in einer kleinen Packung mit einer ID darauf. Auf der Landingpage zum Event (https://mailchi.mp/indeed-innovation/dk2019) kann ich mit der ID meine Melodie anhören.
Analog zu Digital. Digital zu Analog. Analog zu Digital. Hier wird gewandelt, was das Zeug hält. Das ist großartiger Blödsinn. Braucht das jemand? Nein. Aber es ist ein tolles Statement von Indeed. Sie haben sich gefragt „Wie können wir unsere Skills am besten vorzeigen?“ und haben viel Hirnschmalz, Arbeit und Liebe in den Case gesteckt.
Spiel & Spaß abseits der Vortragsbühnen
Digitale Zukunftstechnologien zum Anfassen gab es reichlich. Wir haben mit VR-Unterstützung ein internationales Fußball-Match am Kickertisch von BRANDS ON ausgetragen und sind an der Kletterwand von Valo Motion auf virtuelle Monsterjagd gegangen. Spannend waren außerdem das pädagogische Material und der enthusiastische Spirit, mit dem die HABA Digitalwerkstatt und die Hacker School unterwegs sind, um den Nachwuchs für das digitale Zeitalter fit zu machen.
Fazit
Alles in allem war der Digital Kindergarten eine großartige Veranstaltung. Die lockere Atmosphäre und das entspannte Netzwerken trugen ihren Teil dazu bei. Die „Silent Stage“-Technik der zwei Hauptbühnen ermöglichte zwei parallele Vorträge ohne akustische Überschneidungen, denn die Zuschauer konnten mittels Leih-Kopfhörer bequem zwischen den beiden aktuellen Vorträgen hin- und her schalten.
Wenn man etwas finden möchte, das nicht ganz so rund lief, dann war das die sparsame Beschilderung mancher Veranstaltungsräumlichkeiten sowie die lokale Unkenntnis vieler Service-Mitarbeiter über ihre eigene Tätigkeit hinaus.
Da konnte es schon einmal eine Weile dauern, bis man in dem verwinkelten Gebäude den richtigen Weg zum nächsten Workshop oder zur Food-Ecke gefunden hatte. Ein allgemeines Orga-Briefing aller Mitarbeiter im Vorfeld könnte da hilfreich sein. Auch das Bezahl-System für Speisen und Getränke per Chip hatte mitunter seine Tücken. Aber über diese Kinderkrankheiten wollen wir angesichts des rasanten Wachstums der Veranstaltung gerne hinwegsehen.
Wir kommen im nächsten Jahr sicher gerne wieder zum Spielen vorbei :).
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